Dance Charts 2017

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Mit Laptop und Controller kann jeder ein "DJ" sein

(Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten)

Anfang der 2000er beschloss ich DJ werden zu wollen. Die Einstiegshürde war damals relativ hoch, so musste man viel Geld zusammen sparen um zwei Plattenspieler, Mixer und Kopfhörer zu finanzieren. Hatte man dies geschafft, konnte man immer noch nicht anfangen zu mixen. Platten wurden angeschafft, was regelmäßig das Taschengeld komplett auffraß. Hunderte wenn nicht tausende Euros wurden mit der Zeit investiert, um in der Lage zu sein die favorisierte Musik in einwandfreien Übergängen zu einem Mix zusammen zu führen.

Sofern man kein Kind reicher Eltern war, so bedeutete die Entscheidung DJ sein zu wollen, auf einiges im Leben verzichten zu müssen. Dies hatte aber auch den erfreulichen Nebeneffekt, dass es wenig schlechte Djs gab. Wer sich dafür entschied, tat dies wohlüberlegt und steckte logischerweise auch viel Zeit und Leidenschaft in sein Hobby. Verglichen mit den heutigen technischen Möglichkeiten, bedeutete DJ zu sein auch ein gewisses Maß an Konzentration und Fingerfertigkeit besitzen zu müssen. Wer DJ war und einen guten Mix zu Stande bringen konnte, musste zwangsläufig die Technik beherrschen und viel Zeit in die Musik-Beschaffung investieren.

14 Jahre später bin ich immer noch DJ und ab jetzt mit meinem Kollegen Gimbal zusammen, im Rahmen unserer Youtube Show "Gimbal & Sinan TV", in ca. 25 minütigen Sets zu hören und zu sehen.

 

Doch was hat sich geändert? Die Technik ist natürlich nicht stehen geblieben. Heutzutage benötigt man nur noch ein Bruchteil dessen, was früher unvermeidbar war. Im Grunde reicht ein Laptop mit Midi-Controller aus. Mit zusätzlichen 50 € kann man sich mit MP3s eindecken, welche locker für drei Abende Spielzeit reichen. Die oben genannte Einstiegshürde um DJ zu werden ist somit drastisch gesunken. Dank der technischen Hilfestellung der Software sind gute Mixing-Ergebnisse auch ohne viel Können in kürzester Zeit zu erreichen. Die Geschwindigkeit und die Wellenform der einzelnen Lieder wird automatisch angezeigt und kann somit perfekt an andere Tracks angepasst werden. Wem das noch zu kompliziert ist, der nutzt einfach die Sync-Funktion und schon liegen alle geladenen MP3s in der selben Geschwindigkeit vor. Betrachtet man nur das Endergebnis, so ist für eine identische Mix-Qualität heute wesentlich weniger Können erforderlich als früher.

Mit Laptop und Controller kann jeder ein

 

Viele Nostalgiker wollen diese technische Entwicklung nicht wahr haben. So findet heutzutage eine Differenzierung statt zwischen angeblich echten Djs, welche noch auf alter Technik ohne Sync-Funktion und restlichen Zusatz-Features mixen und den Controller-Laptop-Möchtegern-DJs, welche eben nur ein paar Mp3s zusammenschmeißen.

Auch wenn viele das nicht lesen und wahrhaben möchten, es interessiert überhaupt niemanden wie ein Mix zu Stande kommt. Wenn zwei Menschen ein identisches Set spielen, der eine dafür 10 Kg Platten Nexus Pioneerschleppen und seine jahrelang erlernten Skills einsetzen musste um den Mix hinzubekommen und eine zweite Person das gleiche mit Hilfe von Traktor (Mix-Software) und 'nem 100 € Controller hinbekommt. Ja dann tut es mir leid, aber dann gibt es keinen Unterschied und vermutlich ist dann der effizientere Weg sogar noch der bessere.

Darüber hinaus spielt es auch keine Rolle ob ein DJ einen 100 € Plastik-Controller verwendet oder vor einem 4.000,- € Pioneer Nexus Setup steht. Schlimmer noch! Wer einen sauberen Mix mit dem Billig-Equipment hinbekommt, besitzt wahrscheinlich sogar noch mehr Skills.

Nun gibt es einige die der Meinung sind: "Wenn mixen heute so viel leichter geworden ist, dann muss der DJ eben andere Dinge machen, die seine Arbeit und Gage rechtfertigen. Wie z.B. Effekte reinmischen." Gehen wir also davon aus, dass die Software dafür sorgt, dass die Mp3s in identischen Geschwindigkeiten vorliegen, so könnte der DJ ja anfangen mit seinen, über die Jahre auch tausendfach hinzugekommenen, Effekten am Mischpult den Mix zu erweitern. Was zunächst vielleicht wie eine gute Idee erscheint, lässt den Musikproduzenten in mir übel aufstoßen.

Musik wird in aller Regel fertig produziert. D.h. innerhalb eines Tracks werden Effekte wie Hall, Echo, Flanger und Chorus schon reinproduziert. Der Bass wird an den richtigen Stellen schon rausgemischt und Steigerungen mit allem verziert was dem Produzenten zur Verfügung steht. Eine zusätzliche Erweiterung von Effekten durch die Hand des Djs erweist sich in den seltensten Fällen als sinnvoll. Es ist sogar eher so, dass durch das zusätzliches Reinmischen von Effekten in eine fertige Produktion das Klangerlebnis eher noch verschlechtert wird. Gerade mit Effekten wie Flanger und Chorus können ungeübte Djs für dj fx2unangenehm klingende Interferenzen im Frequenzspektrum sorgen.

Wenn das Mixen eines Sets heutzutage so einfach und das zusätzliche Reinmischen von Effekten selten sinnvoll ist, ja was kann ein guter DJ dann heute noch machen?

Um einen Auftritt zu rechtfertigen haben einige Artists begonnen, sich als Live-Act zu bezeichnen. Das bedeutet, dass sie anstatt fertig produzierte Tracks aufzulegen, mit Hilfe von Ableton und Co. ihre Tracks "live" arrangieren. Die Fingerfertigkeit ist damit natürlich wieder anspruchsvoller geworden und ein Live-Act / DJ hat endlich wieder alle Hände voll zu tun hinterm DJ-Pult. Doch auch hier muss ich leider wieder die Spaßbremse spielen und darauf aufmerksam machen, dass das akustische Endergebnis in aller Regel schlechter ausfällt, als das einfache Abspielen eines komplett im Studio fertig produzierten Tracks. Nun kann man argumentieren, dass eine Band welche live spielt, auch nie so sauber und perfekt klingt wie ihre Studioaufnahme, man dies aber gerne in Kauf nimmt um eben der Band beim live spielen zugucken zu können.

Dazu kann ich nur sagen, dass für mich elektronische Tanzmusik nach wie vor nicht zum zugucken gedacht ist, sondern zum Tanzen. Es ist vielleicht herrlich anzusehen wie ein Live Act / DJ sich voll ins Zeug legt und mit seinen Fingern über Pads & Potis rast - wenn es aber musikalisch keinen Vorteil bringt, bevorzuge ich immer ein sauber gemixtes Set aus vorproduzierten Tracks. Versteht mich an dieser Stelle bitte nicht falsch, es gibt sicherlich den ein oder anderen Act der beim Live Auftritt beeindrucken kann, doch ist dies für mich kein DJ Set sondern kommt eher einem Konzert eines Künstlers nahe. Dabei schaut das Publikum gebannt auf den Akteur und lässt sich von dessen Fähigkeiten verzaubern.

Was ist es also, was ein DJ können muss?

Es ist 2014 - wie bereits erwähnt ist Mixen das einfachste der Welt und kann mit Hilfe von Controller und Laptop jedem innerhalb von 10 Minuten beigebracht werden. MP3s diverser Charts hat man schnell runtergeladen und wirklich JEDER ist in der Lage das abzuliefern, was 90% aller Djs, sei es der Resident DJ deutscher Diskotheken oder eben die Stars der EDM Szene, in ihren Sets präsentieren.

Eigentlich ist es merkwürdig, dass das meiner Meinung nach wichtigste Argument, bei der Beurteilung eines DJs, das am wenigsten berücksichtigte zu sein scheint. Ähnlich dem Motto, du bist was du isst - kann sich für mich ein DJ einzig und alleine durch die Auswahl und Reihenfolge seiner gespielten Tracks beweisen. Die Recherche und Vorbereitung seiner Tracks sind die Kernkompetenzen eines guten Djs. Das Mixen am Abend ist im Grunde nur noch die Präsentation der voran gegangenen Arbeit.

Wer einen Chart-Hit an den nächsten reiht und dabei nicht tiefer graben musste als diverse Top 20 Charts zu öffnen, der ist nichts weiter als eine vollautomatische Juke-Box. Auch hier bitte ich euch, mich nicht falsch zu verstehen - Es gibt den Mainstream, es gibt die Musik aus den Charts und vor allem gibt es viele Menschen die beim Feiern gehen genau solche Musik hören möchten. Und deswegen gibt es eben auch so verdammt viele Djs die genau dieser Nachfrage entsprechen. Ihre Leistung als DJ ist und bleibt aber unspektakulär. So ein DJ zu sein ist ein Job wie viele andere auch und das respektiere ich voll und ganz. Allerdings muss man auch ehrlich sein und sagen dürfen, dass man für diesen Job nicht viel können muss.

Es stimmt, mit Controller und Laptop könnte man denken, ein jeder ist heutzutage in der Lage DJ zu spielen. Doch ein wahrer DJ zu sein bedeutet eben mehr als die Technik zu beherrschen und bekannte Songs zu mischen. Ein DJ zu sein, das bedeutet für eine Musik-Philosophie zu stehen und diese ganz persönliche Interpretation von Musik dem Zuhörer zu präsentieren.

 

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Über den Autor
S. Wernke-Schmiesing

Während meines Studiums gründeten wir 2008 die Dance-Charts. Als reine Musik-Promotion-Agentur gestartet, entwickelte sich die Plattform zu einem der größten Blogs und News-Portale für Dance-Musik in Deutschland. Als Chefredakteur heißt es täglich News recherchieren und Entscheidungen treffen. Neben der Tätigkeit für die Agentur bin ich regelmäßig als DJ in Clubs und Großraumdiskotheken unterwegs.

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